Dauerkaugummi unterm Schuh

»Schöffe Schmitz«: die neue Kolumne zum Schöffenamt

Zur Wiedervorlage kommt auch im Schöffenwahljahr 2023 die Machtlosigkeit des Schöffenwahlausschusses. Er kann verfassungsfeindliche Extremisten unter BewerberInnen für das Schöffenamt nicht erkennen – wie soll er auch? 

Faktisch hat sich unser Rechtsstaat dazu entschieden, aus Mangel an Ideen und an Initiative das Risiko einzugehen, potentielle Verfassungsfeinde erst einmal ins Schöffenamt zu »wählen«. Wenn’s Probleme gibt, können sie später per Amtsenthebung nach § 51 GVG wieder entfernt werden. Vorbild für dieses Procedere war wahrscheinlich das entsprechende Vorgehen bei BerufsrichterInnen. Deren Verfassungstreue wird auch nicht geprüft. Dass insbesondere grosse Städte und Gemeinden ihre Schöffen-BewerberInnen sorgfältig prüfen, scheint unrealistisch.

Die Regelanfrage beim Verfassungsschutz im Zuge der Schöffenbewerbung, ein populärer und gern wiederholter Vorschlag, würde niedrigschwellig agierende »Stammtischtäter«, Hasskommentarschreiber oder stille Grundgesetzhasser unter potentiellen Schöffen ganz sicher nicht erfassen. Für Delinquenten ist der Weg in eine Verfassungsschutzakte weit und dunkel.

Für Schöffe Schmitz, der in Hessen noch 10 Monate Amtszeit vor sich hat, ist oben Genanntes nur Teil der strukturellen Vernachlässigung des Schöffenamtes. Dem Schöffenamt klebt seit Jahrzehnten derselbe dramatische Reformstau als Dauerkaugummi unterm Schuh. Der Verantwortung des Amtes steht ein kollektiver Dornröschenschlaf gegenüber, der nur alle 5 Jahre wieder durch die als lästig empfundenen Schöffenwahlen und durch den paarmonatigen Medienhype unterbrochen wird.

Medial mag das Thema »Verfassungsfeinde im Schöffenamt« für gute Reichweite nützen. Für die Schöffinnen und Schöffen, die ihr richterliches Ehrenamt ernst nehmen und geräuschlos pflichtbewusst ausüben, sind wenige erkannte Einzelfälle pro Jahr im Vergleich zur Gesamtzahl von circa 60.000 Schöffinnen und Schöffen eher unbedeutend, wenngleich nicht egal. Vielleicht sind ja grundgesetztreue Schöffinnen und Schöffen die besten Detektoren für Verfassungsfeinde unter ihren ehrenamtlichen Kollegen?

Für Bürgerinnen und Bürger auf der Richterbank ist relevant, dass sie von ihrem Rechtsstaat keinerlei Unterstützung im Schöffenamt erhalten – weder vor Amtsbeginn noch begleitend während ihrer 5-jährigen Amtsperiode. Für die Amtsausübung der Schöffinnen und Schöffen sind nicht Verfassungsfeinde das Problem – sondern der Umstand, dass das Schöffenamt zu wenig Verfassungsfreunde hat.

Dazu passend: Beitrag GESINNUNGSPRÜFUNG FÜR EHRENAMTLICHE RICHTER? auf Schöffen TV

Kontakt hier

Zurück
Zurück

Ehrlichkeit und Schöffenamt

Weiter
Weiter

Interview Hessenschau